Der Weg zum Streik 1932
Am 1. Januar 1929 erblickt die BVG als Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft das Licht der Welt und nimmt ihren Betrieb auf. Nur kurze Zeit später wird mit dem berühmt berüchtigten Wall Street Crash am schwarzen Donnerstag, dem 24. Oktober 1929, eine weltweite Wirtschaftskrise auslöst. Diese trifft Deutschland und auch die BVG besonders schwer und so stehen wir schon so kurz nach unserer Gründung vor der ersten großen Krise: Es drohen Entlassungen, Arbeitszeiterhöhungen und Lohnkürzungen – der perfekte Nährboden also für einen Streik.
SpongeBob Stimme: „3 Jahre später…“
In den darauffolgenden Jahren spitzt sich die Situation weiter zu und zusätzliche Lohnkürzungen, die im Herbst 1932 verkündet werden, sind der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Erste Stimmen rufen zum Streik auf, darunter die kommunistische Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO). Die Gewerkschaft der BVG, der Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs, hält einen Streik zu diesem Zeitpunkt allerdings für aussichtslos.
Angesichts der anstehenden Reichstagswahlen im Oktober 1932 sehen die Nationalsozialisten durch eine Streikunterstützung ihre Chance, um BVG-Stimmen für die Partei zu gewinnen. Nach erfolglosen Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und der Führung der BVG fordern die RGO und die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) eine Streikabstimmung. Diese erfolgt am 2. November. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Arbeitnehmenden fordern einen Streik.
Steinwürfe, Schlägertrupps und Scharfschützen: Der Streikablauf
Es wurde abgestimmt und die Mehrheit der Mitarbeitenden will einen Streik, doch was bedeutet das überhaupt? Zuerst tatsächlich nichts, denn die Regierung erklärt den Streik für „politisch“ und somit illegal. Doch davon lassen sich die BVGer*innen nicht einschüchtern.
Am Montag, dem 3. November 1932 ist es dann so weit, die BVG wird zum ersten Mal bestreikt. Bereits in den frühen Morgenstunden wird der Betrieb nach und nach lahmgelegt. Unter anderem werden die Bus- und Bahndepots bestreikt, um zu verhindern, dass die Fahrzeuge losfahren können. Dagegen ist die Polizei am Start und einige Busse und Bahnen können ihre Depots unter ihrem Schutz verlassen. Das löst wiederum eine erste Gewaltwelle aus. Die darauffolgenden Szenen ähneln einem Action-Film: Streikbrechende Fahrzeuge werden mit Steinen beworfen, Schienen werden blockiert und Gleisanlagen besetzt. Als Folge drohte die Direktion der BVG mit Entlassungen und das zuvor verhandelte Kürzungsmodell wird von einem staatlichen Zwangsschlichter für verbindlich erklärt. Gegen den illegalen Streik kann der Staat nun mit voller Härte entgegenwirken.
Doch das stoppt den Streik nicht. Im Gegenteil, tausende Anhänger der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) demonstrieren für die Streikenden der BVG, weitere Berliner*innen nehmen an den Blockaden Teil oder versorgen Streikende mit Lebensmitteln. Auch die Nationalsozialisten beteiligen sich und schicken ihre SA-Truppen als Schlägertrupps gegen Streikbrecher-Fahrzeuge vor. Infolge der Zusammenstöße sterben vier Menschen und acht weitere werden schwer verletzt – denn die Polizei schießt scharf.
Trotz der Vielzahl an Streikenden und Sympathisant*innen sind die Kräfte der anderen Seite zu groß: Etliche Teilnehmende werden verhaftet und schon nach wenigen Tagen flattern die ersten Entlassungsschreiben von der BVG-Direktion ein. Nach und nach nehmen immer mehr Mitarbeitende ihre Arbeit auf, aus Angst vor einem Job- und dem damit einhergehenden Einkommensverlust. Bereits nach fünf Tagen bricht der Streik am 7. November 1932 gänzlich zusammen. So dauerte der erste Streik der BVG zwar weniger als eine Woche, doch er geht dennoch als wichtiges Ereignis in die Geschichtsbücher ein.
Die Nachwirkungen
Mit dem Ende des Streiks ist das Kapitel allerdings noch nicht ganz abgeschlossen. Die Betriebsleitung geht gegen die Streikenden mit voller Härte vor und entlässt knapp 3.000 BVGer*innen wegen der Beteiligung am Streik. Die darauffolgenden Auseinandersetzungen vor den Berliner Arbeitsgerichten dauern noch Monate an.
Doch was können wir aus dem ersten BVG-Streik lernen? Zwar war der Streik aus Arbeiterkampfperspektive erfolglos, die Lohnkürzungen und Kündigungen konnten nicht abgewehrt werden, doch er brachte auch einige Erkenntnisse mit sich, die auch im 21. Jahrhundert noch relevant sind.
Insbesondere verdeutlichte er, wie wichtig die BVG und ihre Mitarbeitenden letztendlich für die Stadt Berlin sind, denn während des Streiks wurde nahezu die gesamte Stadt lahmgelegt. Außerdem wird die BVG auch heutzutage noch bestreikt, beispielsweise wenn der Tarifvertrag neu verhandelt wird. Doch diese Streiks laufen glücklicherweise deutlich friedlicher und geordneter ab. Streikende dürfen Arbeitende beispielsweise nicht mehr an ihrer Arbeit hindern, gleichzeitig haben die Gewerkschaften auch ein Recht zu streiken und dürfen nicht am Streik gehindert werden. Man muss also nicht mehr um sein Leben (und seinen Job) fürchten, wenn man sich einem Streik anschließt.
TIPP: Übrigens kannst du alles Wichtige zu Streiks, Tarifverhandlungen und Gewerkschaften in unserem Artikel zum Thema Streik nachlesen.
Und hast du auch fleißig mitgeschrieben? Hier eine kurze Zusammenfassung:
- Der erste BVG Streik fand im November 1932 statt. Zur gleichen Zeit erreichte die weltweite Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt. Dem Streik gingen mehrere von der BVG-Direktion angeordnete Lohn- und Arbeitszeiterhöhungen sowie Entlassungen voraus.
- Der Streik selbst dauerte nur fünf Tage – doch er war geprägt von Gewalt, vier Menschen verloren ihr Leben, etliche wurden verletzt. Nach dem Streik wurden fast 3.000 Mitarbeitende wegen ihrer Beteiligung an dem Arbeiterkampf entlassen.
- Zwar wurden die Streikforderungen nicht erreicht, doch der Streik war dennoch ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der BVG.
Quelle: Aus Rot wird Braun – die BVG 1929-1945, Christian Dirks, Jörg Pache, Thorsten Beck. mitteldeutscher Verlag. 2015. (Hrsg.): BVG. S. 22-32.
Bilder: Bundesarchiv Bild 102-13991, Bundesarchiv Bild 183-B0527-001-789